Romantisch ist das nicht – aber modern

Wir waren gerade in Venedig, da erschien in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung eine Themenseite über die Cucina Povera. Birgit Schubert von der gleichnamigen Buchhandlung am hinteren Ende des Steinwegs war so lieb, sie uns aufzuheben. Der Artikel fasst nicht nur wunderbar zusammen, was das Konzept unserer Küche ausmacht bzw. ausmachen soll. Er beschäftigt sich auch damit, wo diese italienische „Armenküche“ in der heutigen Zeit steht – mit Blick auf die Überproduktion und Allseitsverfügbarmachung unserer Lebensmittelindustrie genauso wie im Abgleich mit aktuellen Foodtrends und die bereits vor 40 Jahren, ebenfalls in Italien gegründete Slowfood-Bewegung, die bis heute nichts an Bedeutung eingebüßt hat.

Zur Erinnerung: Unter der Bezeichnung Cucina Povera werden regionale Gerichte vor allem aus dem ländlichen Raum des Landes zusammengefasst. Es geht um „schlichte Kombinationen, einfache Zubereitung, saisonale Zutaten, Reduktion auf das Wesentliche“, wie es in dem Text heißt. Eine Küche also, die den Mangel meisterte und gleichzeitig die Qualität der vorhandenen Lebensmittel hoch schätzt, sie ehrt und obendrein veredelt. (Selbstverständlich finden sich auch in deutschen traditionellen Kochbüchern gerade bäuerlicher Herkunft eine Vielzahl von Gerichten, die diesen Kriterien entsprächen, nur tragen sie keinen gemeinsamen Namen und sind in ihrer Gesamtheit auch nicht so kulturprägend wie in Italien. Das gilt aber ja insgesamt für das Verhältnis Essen und Kultur in unserem Land.)

Foto ohne tiefere Bedeutung für diesen Text. Einfach nur noch mal ein schöner Schnappschuss aus Venedig.

Zwei Dinge finde ich in dem Artikel von Titus Arnu besonders beachtenswert. Er verschweigt zum einen nicht die Ambivalenz, die darin liegt, eine Arme-Leute-Küche zu feiern und vielleicht auch zu idealisieren, wie es nicht zuletzt in namhaften Restaurants in London, New York und Paris und von Starköchen wie Jamie Oliver längst getan wird. Erwähnt wird zum Beispiel der Schweizer Gastodozent und Kochbuchautor Claudio Del Principe, der das kritisch sieht, weil seine Eltern ihm aus erster Hand erzählten, was Armut bedeutet. Sie lebten in den Abruzzen und bekamen dort in und nach dem Zweiten Weltkrieg oft wochenlang kaum etwas anderes als Polenta auf den Tisch. Andererseits glaubt er doch daran, dass die „altmodische, schlichte Grundhaltung der italienischen Armenküche eine ideale Orientierungshilfe für zeitgemäßes Kochen“ sein könne.

Und das ist der zweite, wesentlichere Punkt: Dieses arme Essen bietet Antworten auf maßgebliche Ernährungsfragen unserer Zeit! Es verzichtet weitgehend auf Fleischprodukte, sichert mit viel Hülsenfrüchten, Gemüse und Getreide trotzdem eine vollwertige Ernährung und sorgt durch die Auswahl vor allem saisonaler und regionaler Produkte und die Wieder- und Weiterverwertung von Resten bei gleichzeitigem Verzicht auf oft fragwürdige Industrieprodukte für eine viel bessere Umweltverträglichkeit. Wer sich damit auch nur etwas eingehender befasst, muss und wird zwar zukünftig nicht auf jedes Avocadobrot oder irgendwelche signalfarbenfrohen Heidel- oder Joahnnisbeerkuchen mitten im Winter verzichten – aber er wird sich solche Angebote wenigstens nicht mehr als nachhaltig/healthy/green usw. verkaufen lassen.

Der allerwichtigste Aspekt für uns im Ribollita, auf den wir nur zu gerne immer wieder zurückkommen: Ganz ohne Dozententum und moralische Fragestellungen bleibt festzustellen, dass die Gerichte aus dieser Tradition verdammt gut schmecken!

Schaut hier auf unsere neue Wochenkarte und probiert es dann selbst aus. Die Pasta e piselli con crema di carciofi, also mit Erbsen und Artischoken-Pesto, unsere Suppe mit Radicchio und dicken Bohnen und die Spaghetti alla puttanesca mit Tomaten, Kapern, Sardellen, Oliven und Chili empfehlen wir diesmal besonders. Den Rest aber auch. ; )